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Virtuelle HV: Für Kleinanleger geht’s nicht nur um die Wurst!

Dr. Wolfgang Schnorr | For Free Updates Sign Up to Our Newsletters >> HERE

Covid-19 kastriert Hauptversammlung 2020 für Kleinaktionäre

Das Covid-19-Virus hat in Wirtschaft und Gesellschaft bis heute bereits so viele Opfer gefordert, wie sich das bis dato kaum jemand vorstellen konnte. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Angesichts der globalen Dimension dieser verheerenden Pandemie ist der Einfluss auf die in Deutschland langsam dem Ende zugehende Hauptversammlungssaison 2020 zweifellos eher ein Nebenkriegsschauplatz. Aber trotzdem lohnt sich ein Blick auf das periphere Thema, denn die Welt dreht sich-trotz Corona und erst recht danach-weiter.

Bezeichnenderweise wurden die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen, unter denen die Hauptversammlung (HV) im laufenden Jahr stattfinden konnte, in einem aus der Not geborenen umfangreichen Gesetzespaket zur Bewältigung der Corona-Krise auf breiter Front erlassen. Das Parlament hat dieses Sammelsurium von Gesetzen, abgekürzt als Covid-19-Gesetz, am 25.März 2020 ohne große Diskussion in rekordverdächtigem Tempo verabschiedet. Damit machte der Gesetzgeber, befristet auf das Jahr 2020, die virtuelle HV (ohne körperliche Anwesenheit) faktisch zur Norm- obwohl darüber bereits seit Jahren kontrovers diskutiert worden war und eine finale Einigung immer wieder am Widerstand der einen oder anderen Interessengruppe scheiterte.

Welche sind die wesentlichen Neuerungen der virtuellen HV 2020? 

Das Unternehmen kann einerseits die Einberufungsfrist für die HV um rund ein Drittel auf 21 Tage verkürzen und es hat andererseits nunmehr zwölf statt acht Monate Zeit, um seine HV abzuhalten.  Die Aktionäre bzw. ihre Bevollmächtigten können nur noch elektronisch i. d. R. über ein spezielles Aktionärsportal in Bild und Ton an der Veranstaltung teilnehmen, Fragen und Anträge stellen sowie Widerspruch gegen HV-Beschlüsse erklären. Für die Ausübung des Stimmrechts kann auch Briefwahl zugelassen werden. Die Gesellschaft kann vorgeben, dass Anträge und Fragen spätestens bis zwei Tage vor der HV einzureichen sind.

Wie sieht ein erstes Zwischenfazit nach circa vier Monaten aus?  

Nachdem inzwischen die meisten der DAX 30-Gesellschaften das neue HV-Format genutzt haben, die kurze Antwort vorab: Überwiegend Wohlgefallen auf der Seite der Unternehmen und eher Missfallen bei den Aktionären, genauer vor allem bei den kleineren Privataktionären. Eine Überraschung ist das aber nicht, so wie die Vor- und Nachteile verteilt sind. 

Die Sicht der Unternehmen

1. Die neue virtuelle HV spart Zeit, da sie die Dauer der Pflichtveranstaltung verkürzt. Gerade bei den größeren Aktiengesellschaften im DAX, bei denen die HV auch schon einmal einen ganzen Tag dauern konnte, hält sich die Begeisterung über das bislang übliche Format in ziemlich engen Grenzen. Hinter vorgehaltener Hand wird aus dem Unmut über das „sinn- und nutzlose Spektakel“ schon länger kein Hehl gemacht. Zudem verursacht das digitale Format weniger Kosten. Dazu gehören z. B. Raummiete, audio-visuelle Leistungen, Sicherheitspersonal, Catering, Backoffice, um nur einige Posten zu nennen. Ihnen steht im Wesentlichen ein höherer Aufwand für die Internetübertragung (Streaming) gegenüber.

2. Die neue virtuelle HV ist besser zu planen und viel einfacher zu organisieren. Die aufwändige Vorbereitung z.B. durch zeitraubende Proben mit vielen Beteiligten, aber auch den äußerst umfangreichen HV- Leitfaden, der alle nur denkbaren Situationen im Detail abdeckt, erübrigt sich. Zudem ist die Anfälligkeit für Fehler bzw. Störungen vor Ort praktisch gleich Null, unangenehme Überraschungen gibt es so gut wie nicht. Auch lässt sich das ohnehin stark eingeschränkte Anfechtungsrisiko durch eine sorgfältige Vorgehensweise noch weiter minimieren. Und der anwesende Notar dürfte sich vermutlich eher unter- als überfordert fühlen. Letztlich kann die virtuelle HV als kommunikative Einbahnstraße perfekt vorherbestimmt werden, von den Unwägbarkeiten der Technik einmal abgesehen.

3. Die neue virtuelle HV schafft dank der außergewöhnlich schnellen Reaktion des Gesetzgebers auf die Corona-Krise die erwünschte Rechtssicherheit.

Die Sicht der Aktionäre

Dagegen fällt das Bild aus dieser Perspektive ganz anders aus. Dabei ist es sinnvoll, zwischen den größeren institutionellen Investoren, oft aus dem Ausland, einerseits und den kleineren privaten Anlegern andererseits zu unterscheiden. Denn erstere sind von den Neuerungen deutlich weniger betroffen als Kleinaktionäre, vor allem schlicht deshalb, weil sie ihren Einfluss ohnehin außerhalb der HV geltend machen (können).

Die Vorteile der virtuellen HV sind überschaubar:

Die Online-Übertragung macht eine Anreise zum Ort der HV entbehrlich. Wo immer ein Internetzugang vorhanden ist, kann der Aktionär dem HV-Geschehen (passiv) durch Zuhören und Zuschauen folgen. Vorausgesetzt natürlich, er besitzt die notwendige Hard- und Software, was nicht immer und überall der Fall sein dürfte. Insgesamt also bestenfalls ein Plus an Bequemlichkeit und vielleicht entfallende Fahrtkosten.

Die Nachteile sind erheblich zahlreicher und gravierender:

1. Eine aktiver (zweiseitiger) Austausch von Informationen und Meinungen ist in der virtuellen HV nicht möglich. Vielmehr muss jedwede kommunikative Äußerung bis spätestens zwei Tage vorher der Gesellschaft übermittelt worden sein. Die bislang übliche sog. Aussprache, durch mehr oder weniger spontane Äußerungen sowie Rede und Gegenrede gekennzeichnet, entfällt ersatzlos. Gerade dieser Teil der HV-Diskussion ist aber oft besonders informativ und lebendig, was auf die vorgestanzten und  juristisch glatt geschmirgelten Redebeiträge meist nicht zutrifft.

2. Nur bei physischer Präsenz in der HV kann der Aktionär dem Topmanagement „seines“ Unternehmens von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten und sich aus erster Hand informieren. Einzig bei dieser Gelegenheit gibt es einmal im Jahr den Vorstand und Aufsichtsrat aus der Nähe quasi „zum Anfassen“. Gerade für die Identifikation des Kleinaktionärs mit dem Unternehmen spielt dies eine nicht unerhebliche Rolle. Denn einen anderen direkten Zugang zur Unternehmensleitung hat er nicht.

Für den (größeren) institutionellen Investor besteht dieses Manko dagegen nicht. Ihm gelingt es über die unternehmenseigene Investor Relations-Abteilung normalerweise leicht, ein exklusives (vertrauliches) Meeting (sog. One-on-One) mit ausgewählten Vorstandsmitgliedern und immer öfter auch dem Aufsichtsratsvorsitzenden zu arrangieren. Dort kann er sich sowohl einen genaueren Eindruck von seinem Anlageobjekt verschaffen als auch den eigenen Vorstellungen auf höchster Unternehmensebene Gehör verschaffen. Dass dieser privilegierte persönliche Dialog mit dem Management dem Kleinaktionär nicht offensteht, kann man durchaus als Ungleichbehandlung ansehen, auch wenn das seit vielen Jahren anscheinend ohne Probleme so praktiziert wird.

3. Ein Recht, auf gestellte Fragen auch Antworten zu bekommen, besteht in der virtuellen HV grundsätzlich nicht. Vielmehr entscheidet der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats „nach pflichtgemäßem, freien Ermessen, welche Fragen er wie beantwortet“.

4. Eingeschränkt (bei alleiniger Briefwahl sogar inexistent) ist auch das Recht, Anträge zu stellen und-besonders weitgehend-Anfechtungsklagen zu erheben.

5. Die sog. „Naturaldividende“ ist gestrichen. Ob der Verlust von Eintopf mit oder ohne Würstchen und vielleicht eines preiswerten Kugelschreibers wirklich so groß ist, sei dahingestellt Aber selbst wenn der Trend bei der leiblichen Versorgung der HV-Besucher seit Jahren nur abwärts geht, so wird auch dadurch bei dem einen oder anderen Kleinaktionär die Aktienanlage jedenfalls nicht attraktiver gemacht.

Corona verschiebt Machtbalance zu Lasten der Kleinaktionäre

Die virtuelle HV, wie für 2020 vom Gesetzgeber vorgesehen, kommt den Interessen der Unternehmen sehr weit entgegen, während sie für Kleinaktionäre fast ausschließlich Nachteile gegenüber dem bisherigen Status quo mit sich bringt. Ob die Beschneidung diverser Rechte auf Seiten der Aktionäre noch als angemessen oder als unangemessene Missachtung zu werten ist, darüber mögen sich die in Definitorik besonders versierten Juristen streiten. Unübersehbar ist jedoch, dass die Machtverteilung der drei grundlegenden Organe der Aktiengesellschaft von der Hauptversammlung weg zu Vorstand und Aufsichtsrat hin verlagert wird – und zwar einseitig zu Lasten insbesondere der Kleinaktionäre.

Als temporäre, durch die Corona-Pandemie ausgelöste Notmaßnahme war das vermutlich ohne Alternative. Aber mit Blick auf eine gesunde Corporate Governance muss doch stark bezweifelt werden. ob der Gesetzgeber dauerhaft gut daran tut, den einzigen Tag im Jahresablauf der Gesellschaft, an dem die beauftragte Unternehmensleitung auf der HV vor ihren (haftenden) Eigentümern Rede und Antwort stehen muss, formal wie inhaltlich zu minimalisieren. Und auch für die allseits erhobene Forderung, die (zu) niedrige Attraktivität der Aktienanlage in der breiten Bevölkerung zu steigern, wäre das kontraproduktiv.  Damit ist keineswegs ausgeschlossen, bewährte Elemente aus der aktuellen Krisensituation, wie z. B. Fragen (auch) vorab online zu stellen, in ein modernisiertes Veranstaltungsformat zu übernehmen. Denn dass es bei der Digitalisierung der traditionellen HV in Deutschland erheblichen Nachholbedarf gibt, ist ganz und gar nicht strittig.